One Health hilft bei Prävention und Früherkennung von Pandemien

Im Gespräch: Fabian Leendertz, Preisträger des Hamburger Wissenschaftspreises 2023 „One Health“

One Health bedeutet, die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammen zu betrachten und alle Sektoren in Beziehung zu setzen. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Frage, wie sich Zoonosen verhindern beziehungsweise frühzeitig erkennen lassen. So könnten kommende Pandemien besser zu meistern sein. Der Veterinärmediziner und Mikrobiologe Fabian Leendertz erforscht seit mehr als 20 Jahren Zoonosen, also vorrangig Infektionskrankheiten aus dem Tierreich, die auf den Menschen übergesprungen sind. Er gehört zu den weltweit führenden Experten auf diesem Gebiet.

Mit der Vergabe des Hamburger Wissenschaftspreises 2023 an Fabian Leendertz würdigt die Akademie der Wissenschaften in Hamburg dessen grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der zoonotischen Infektionskrankheiten unter Anwendung des One-Health-Gedankens. Leendertz‘ Forschungsarbeiten tragen wesentlich zu einem besseren Verständnis der Mechanismen von Krankheitsentstehung und -übertragung zwischen Menschen, Tieren und der Umwelt bei. Mit der One-Health-Langzeit-Beobachtungsstudie in afrikanischen Ländern südlich der Sahara leistet Leendertz mit seinem Team am 2021 gegründeten Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Epidemien und Pandemien.

Ihre bisherige und auch aktuelle Forschungsarbeit ist geprägt durch den Fokus auf neu auftretende Infektionskrankheiten an der Schnittstelle zwischen Mensch und Tier in Afrika südlich der Sahara. Es ist ein Gebiet, das geprägt ist durch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von neuartigen Zoonosen. Woran liegt das?

Die afrikanischen Tropen sind in der Tat Regionen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Auftretens von neuartigen Krankheitserregern bei Menschen und Tieren.

In diesem Zusammenhang sind verschiedene Faktoren wichtig. Fangen wir bei der Natur an. Wir haben drastische Umweltveränderungen in den Regionen, beispielsweise durch Abholzung. Wir reden häufig über das Amazonas-Gebiet, aber auch im Kongo-Becken und in vielen afrikanischen Ländern ist das ein Riesenthema. Gegenden, die früher Regenwälder waren – noch zu Beginn meiner Forschung vor gut 20 Jahren – sind inzwischen Savannen-Regionen geworden und versteppen immer mehr. Es gibt dort gut sichtbare ökologische Veränderungen. Dieser veränderte Lebensraum und auch die damit einhergehende klimatische Veränderung beeinflussen dann wiederum die Zusammensetzung verschiedener Tierspezies. Darunter sind sowohl die Arthropoden wie zum Beispiel Mücken und alles, was stechen kann. Diese Tiergruppe kann Krankheiten auf den Menschen übertragen oder übertragbare Krankheiten verbreiten. Aber auch das Vorkommen von Kleinsäugern, also Mäusen, Fledermäusen und Flughunden, hat sich drastisch verändert. Wir haben eine Veränderung der Lebensräume sowie des Vorkommens und der Verteilung der Tiere. Hinzu kommt, dass der Mensch in intensivem Kontakt mit diesen Tieren steht: Nicht nur, weil er den Lebensraum teilt, so dass ihn die Mücke stechen kann, oder über die Nagetiere, welche zum Beispiel Nahrungsmittel kontaminieren können, sondern auch, weil die Menschen in den afrikanischen Tropen insgesamt intensiveren Kontakt zu Tieren haben, als wir das hier kennen. Es laufen Schweine und Hühner im dörflichen Setting durch die Küche oder sind dort, wo die Feuerstelle ist. Verschiedene Spezies kommen zusammen.

Zoonosen: „Jede Tierart birgt ihr eigenes Risiko“

Zusätzlich haben wir dann insbesondere in den Regionen, in denen wir arbeiten, die Jagd auf Wildtier-Fleisch. Es werden verschiedene Arten gejagt – von Affe bis Zibetkatze. Hierbei kommt den Primaten, also Affen, die unsere nächsten Verwandten sind, eine besondere Bedeutung zu, denn für einen Infektionserreger ist der Sprung von einem Primaten zum nächsten viel leichter. Dies ist nur ein Beispiel, jede Tierart birgt ihr eigenes Risiko. Das heißt, wir haben dort eine enorme Exposition, also ein Ausgesetzt-Sein gegenüber potenziell hoch gefährlichen Infektionserregern. Diese Exposition ist jedoch nicht statisch, sie verändert sich dadurch, dass viele der größeren Tiere inzwischen zumindest lokal oder regional so stark dezimiert wurden, dass die Jäger auch andere und oft kleinere Spezies jagen, die früher weniger attraktiv waren. So werden auch größere Fledermaus- und Flughund-Arten oder größere Nagetier-Arten gejagt. Diese Gattungen sind sehr artenreich und tragen daher ein höheres Risiko, für den Menschen gefährliche Erreger zu tragen. Hier haben wir ein dynamisches Geschehen.

Inwiefern gibt es ein Gesundheitssystem in den afrikanischen Tropen, das auf so eine dynamische Situation reagieren kann?

Das Gesundheitssystem ist in vielen Ländern leider nicht darauf eingestellt. Im Vergleich zu den Ländern südlich der Sahara und anderen Ländern sind wir in Deutschland extrem gut aufgestellt. Die Bevölkerung in den afrikanischen Tropen wächst weiter rasant. Es ist ein Wachstum, das keiner so richtig versteht. Wir wissen, dass es enorm ist, wobei es nur Schätzungen gibt. Dieses Bevölkerungswachstum geht mit einer höheren Konnektivität einher, also mit sehr vielen Kontakten an verschiedenen Orten. Wenn früher zum Beispiel Ebola von Tieren auf Menschen übergegangen ist, etwa auf einen Jäger, war dieser in seinem Dorf und es sind dort Leute gestorben. Das war zweifellos dramatisch, aber sie sind im Prinzip gestorben, bevor sie es überhaupt schaffen konnten, das nächste Dorf zu erreichen. Das ist jetzt anders. Die Konnektivität ist viel höher, die Dörfer sind viel größer, die Mobilität ist enorm gestiegen, und so verbreiten sich die Krankheitserreger auch schneller weiter, wie die letzten Ausbrüche des Ebolavirus auch bewiesen haben.

Größere Mobilität sorgt für schnelleres Verbreitung von Krankheitserregern

Die Gesundheitsinfrastruktur vor Ort ist nicht gut aufgestellt und wächst nicht mit diesem erhöhten generellen Bedarf, die Menschen zu versorgen. Was das Erkennen neuer Erreger anbelangt, ist es natürlich noch schwieriger, denn meistens ist kein Arzt da, und wenn doch, sind der Arzt oder die Ärztin nicht ausreichend geschult, um das Ungewöhnliche zu sehen. In so einer Gegend kann ein gefährlicher Erreger leichter auf den Menschen überspringen, leichter von Mensch zu Mensch weiterkommen, und bis diesen Erreger dann jemand entdeckt, ist der Erreger leider wahrscheinlich schon weit gereist.

Da kommt die Globalisierung zusätzlich ins Spiel.

Ja, und das ist dieser gefährliche Mix: Wir haben Umweltveränderungen, Klimaveränderungen, Veränderungen beim Vorkommen von Tierspezies, Mensch-Tier-Kontakte und unzureichend aufgestellte Gesundheitssysteme. Gleiches gilt für den tiermedizinischen Bereich. Auch da ist wenig vorhanden, ebenso im Umweltbereich. Den One-Health-Ansatz hier umzusetzen, bedeutet, dass man Mensch, Tier und Umwelt dauerhaft im Blick hat. Das ist natürlich nicht einfach und wird leider weitflächig nicht getan. Genau dieses Thema wollen wir mit unserem One-Health-Surveillance-Vorhaben aufgreifen und zu unserem Mega-Projekt machen, was uns alle hier am Helmholtz-Instituts für One Health in Greifswald verbindet: Am Beispiel von zwei spezifischen afrikanischen Regionen wollen wir zeigen, wie das One-Health-Konzept ganz praktisch funktionieren könnte. Wir wollen eine Kopiervorlage für eine One Health Surveillance schaffen, die skalierbar ist, also übertragbar auf andere Regionen der Welt. Gleichzeitig wird diese One Health Surveillance als Trainingszentrum dienen, denn das Know How ist bisher nicht weit gestreut.

„Kopiervorlage für eine One Health Surveillance schaffen“

Sie sprechen von der großangelegten One-Health-Langzeit-Beobachtungsstudie, die angesiedelt ist in zwei unterschiedlichen Modellregionen: in den afrikanischen Tropen und in Vorpommern, also in dem Teil von Mecklenburg-Vorpommern, in dem Ihr Helmholtz-Institut für One Health seinen Sitz hat. Dieses Langzeitforschungsprojekt gehört zum Gründungskonzept des Instituts, das Sie als Gründungsdirektor maßgeblich 2021 vertreten haben. Inwieweit ist dieses Projekt schon angelaufen?

Der mittelfristige Plan in den nächsten drei, vier Jahren ist, diese One Health Surveillance vernünftig aufzubauen. Wir wollen nicht einfach loslegen und in zehn Jahren bereuen, dass wir uns am Anfang nicht genügend Zeit genommen haben. Der erste Schritt ist – auf dem One-Health-Konzept basierend – das Studiendesign zu etablieren. Zusammen mit der Bevölkerung vor Ort, den afrikanischen Partnern und weiteren interessierten Instituten mit entsprechender Expertise aus den verschiedenen Disziplinen. Dies alles zusammen zu bringen, ist die erste große Hürde.

Wenn das Projekt läuft, kann ich kein Enddatum nennen. Die Hoffnung ist, dass das Projekt wie eine Art Wetterstation über meine Rente hinaus weiterläuft. Die große Hoffnung ist zudem, dass es in anderen Regionen auch kopiert wird – vielleicht in Gänze oder teilweise, je nach Skala. Ich hoffe, dass unsere Langzeit-Daten-Erhebung zum Verständnis vom Verhältnis Umwelt-Mensch-Tier-Klima beiträgt – inklusive Public Health- und Veterinary Public Health-Systemen. Das alles können wir mit der One Health Surveillance überblicken. Deswegen kann es auch kein 20-Jahre-Projekt sein, sondern ist dauerhaft gedacht.

In den Modellregionen forschen Sie und Ihre Teams dann auf allen One-Health-Ebenen – in engem Kontakt mit Menschen aus der Bevölkerung. Was ist geplant auf den verschiedenen Ebenen Mensch, Tier und Umwelt gerade mit Blick auf die Regionen in den Afrikanischen Tropen – nicht zuletzt da die Datenbasis dort bisher noch eher dünn ist?

Es gibt ein Team, das sich vor allem mit der menschlichen Gesundheit befasst. Es werden Kohorten aufgebaut, also gesunde Menschen vor Ort, denen wir über viele Jahre hinweg immer wieder folgen. Sie werden etwa alle zwei, drei Jahre tiefergehend untersucht, und übermitteln auch zwischendurch Daten: Etwa zu bestimmten Krankheiten, aber auch zu Tieren, die sie umgeben und so weiter. In dieses Human-Paket gehört neben den Kohorten auch das kleine Krankenhaus, in das die Leute gehen würden, wenn sie krank sind. Da interessiert uns: Wer geht dort ins Krankenhaus? Mit welcher Krankheit? Was macht die Leute wirklich schwerkrank? Schließlich arbeiten wir mit den Pathologen oder Beerdigungsinstituten in den Gegenden zusammen, um zu sehen, wenn jemand gestorben ist, was dahintersteckt. Das Spektrum reicht von gesund bis krank bis gestorben: Das ist ein großes Arbeitspaket.

Das zweite Arbeitspaket konzentriert sich auf die Gesundheit der Wildtiere und der Nutztiere, ein Drittes auf die Umweltfaktoren etc.

Inwiefern spielen hier Jäger und Landwirte als Datenermittler eine Rolle?

Wir hoffen, einen Teil der Daten genau von diesen Berufsgruppen zu bekommen, sie kennen ihre Tiere und sind bei ihnen. Es ist in diesen Studien sehr ratsam, die Leute aktiv zu involvieren: Wir studieren nicht die Menschen, sondern zusammen mit den Menschen machen wir eine Studie. Sie sind Teil des Teams und deswegen ist es gut, wenn sie auch Daten übermitteln und eventuell auch Proben sammeln. Hierbei können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen, zum Beispiel auch App-basierte Techniken, die leicht zu nutzen sind, wo sie dann vermerken: „Heute sind mir drei Hühner gestorben“ oder „mir geht es so und so“. Solche Sachen sind wichtig, damit die Leute aktiv beteiligt werden.

Einheimische Jäger und Landwirte als Datenermittler

Insofern haben Sie Recht: Diese humane Seite wird auch helfen, die Tier-Seite mit zu beobachten. Wir haben aber auch aktive Tieruntersuchungen. Da sind auf der einen Seite die Wildtiere, die wir beobachten. Das ist mein altes Steckenpferd: die Menschenaffen, die in diesen Gegenden frei leben. Die monitoren wir über viele Jahre hinweg. Das ist sozusagen eine weitere Kohorte draußen in der freien Natur: die unserer nächsten Verwandten. Menschenaffen sind unsere Indikatoren für neue Erkrankungen.

Gleichzeitig haben wir auf der Tier-Seite auch systematische ökologische Untersuchungen: Wo kommt zum Beispiel welche Fledermaus vor? Wo welches Nagetier oder welches Insekt? Das untersuchen wir schon seit ein paar Jahren.

Wie werden Sie und Ihr Team im Rahmen der geplanten One-Health-Langzeit-Studie Umweltdaten erfassen?

Rein auf der Umweltseite nehmen wir Lebensraumdaten auf. Wir machen zum Beispiel mit Drohnen systematische Aufnahmen, damit man genau zeigen kann, wie sich der Lebensraum verändert, wie sich Felder verschieben, wie sich der Primärwald verändert, wie das Dorf wächst usw. Wir nehmen Klimadaten mit kleinen Wetterstationen auf, die dort installiert werden, um das regionale Klima zu dokumentieren. Es wird auch eine sehr wichtige Idee meines Kollegen aus dem Bereich der Tierphysiologie hier am Institut umgesetzt: Es werden eine große Menge Mikroklima-Logger installiert. Die sehen aus wie kleine Plastikpilze, man kann sie systematisch überall fixieren; vom Wald bis ins Dorf. Diese Mini-Stationen sammeln Daten zum Mikroklima ein. Das ist interessant, weil gerade die Insekten und die Nagetiere in einem Mikro-Klima leben, da helfen die regionalen Klimadaten weniger.

Die Langzeit -Daten können uns im Zusammenspiel mit den anderen Daten auch noch klarer zeigen, was Verhaltensveränderungen bringen – also zum Beispiel in puncto Hygiene. Hat es wirklich einen Effekt? Oder ein ganz einfaches Beispiel: Was verändert sich, wenn Elektrizität in die Dörfer kommt? Oder ein neuer Impfstoff kommt auf den Markt wie zum Beispiel der Malariaimpfstoff. Oder es wird wieder Wald aufgeforstet. Wie verändert sich dann jeweils die Gesundheit? Wir haben somit die Chance, mithilfe der Überwachung Veränderungen zu verstehen.

So wie Sie Ihr Vorhaben beschreiben, kann man sich gut vorstellen, wie wichtig eine gelingende Kommunikation mit den Menschen in den afrikanischen Modellregionen ist. Inwiefern bedarf es hier – auch unter interkulturellen Vorzeichen – einer Vorbereitung, die Mentalitäten und Weltbilder der Menschen in der Zentralafrikanischen Republik und an der Elfenbeinküste berücksichtigt?

Was ich bis jetzt erzählt habe, war ja sehr technisch. Wir können das – salopp gesagt – alles in die Tonne kloppen, wenn die Bevölkerung keine Lust hat mitzumachen. Wenn der einzelne Mensch nicht verstehen und selber entscheiden kann: „Was motiviert mich mitzumachen? Was sind wichtige Themen für mich? Was erwarte ich von dieser großen Initiative? Kurzfristig und auch langfristig?“

Zum Glück haben wir tolle Kolleginnen und Kollegen aus der Anthropologie, welche diese Gegenden kennen und das Vertrauen der Bevölkerung haben. Diese Leute stellen vor Ort unser Projekt vor und besprechen die oben genannten Fragen – und viele mehr.

Was können sie sich vorstellen, beizusteuern? Ist es okay für sie, einmal oder alle zwei Jahre eingehend untersucht zu werden? Würden sie sich in diesem Rahmen Blut abnehmen lassen? Das ist für viele Laboruntersuchungen wichtig, aber Blut ist zugleich sehr spirituell behaftet. Das dies funktionieren kann, wissen wir, denn wir haben diese Art Studien bereits durchgeführt. Man muss sich Zeit nehmen und gut mit den Leuten reden, viel erklären – auch darüber, wie sie den Blut-Verlust ausgleichen können. Dies ist nur ein Beispiel, es geht natürlich um noch viel mehr Untersuchungen und Daten.

Interkulturelle Vorbereitung: Anthropologen möchten Vertrauen der afrikanischen Bevölkerung gewinnen

Das andere ist aber, dass gerade im One-Health-Kontext vielleicht ein Benefit entsteht, den ich als einfacher Veterinär nicht im Blick habe. Deswegen ist es für uns sehr wichtig, dass wir das Preisgeld des Hamburger Wissenschaftspreises 2023 nutzen, um die bisher eher lockere Kooperation mit den Anthropologen zu verstetigen, damit sie viel Zeit für die Etablierung der One Health Surveillance einsetzen können um mit den Leuten vor Ort genau zu schauen: „Was stellt ihr Euch vor? Wollt Ihr mitmachen und was würdet Ihr davon erwarten? Was wärt Ihr bereit, etwa an Daten kontinuierlich zu sammeln? Was ist für Euch bei den medizinischen Untersuchungen tabu oder worüber wollt Ihr lieber nicht reden?“ Wir dürfen die Leute nicht überrollen, weil es sonst nicht funktionieren würde. Hier aufzupassen ist wirklich extrem wichtig.

Der Hamburger Wissenschaftspreis ist mit 100.000 Euro dotiert. Dieses Preisgeld wird also in den kommenden Monaten für die Zusammenarbeit mit den Anthropologen gleich verwendet.

Genau. Eine Anthropologin war jetzt bereits zur Besprechung bei uns in Greifswald und ist dann weiter in die Zentralafrikanische Republik geflogen. Sie ist spezialisiert auf die Bevölkerungsgruppen in der Zentralafrikanischen Republik, arbeitet dort seit 20 Jahren etwa zum Jagdverhalten und hat das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung. Sie passt perfekt zu unserem Projekt und möchte die One Health Surveillance auch längerfristig aus anthropologischer Perspektive begleiten. Für die anthropologische Vorarbeit an der Elfenbeinküste haben wir auch Kollegen vom Schweizer Tropenzentrum in Abidjan an Bord. Da gibt es auch Anthropologen, mit denen wir bereits in einem anderen Projekt zusammenarbeiten.

Ihre großangelegte One-Health-Langzeit-Beobachtungsstudie ist nicht nur in den afrikanischen Tropen angesiedelt, sondern auch in Vorpommern, und zwar nicht weit von Ihrem Helmholtz-Institut für One Health in Greifswald. Welche Leitgedanken prägen hier die aktuelle Arbeit am Studien-Design?

Wir fokussieren uns in Vorpommern wahrscheinlich auf bestimmte Berufsgruppen, die viel Kontakt zu Tieren und zur Natur haben. Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern die bekannte SHIP-Kohorte, also gesunde menschliche Gruppen, die schon sehr lange im Rahmen der Untersuchung Study of Health in Pomerania untersucht wurden. Die Studie läuft seit 1997 (https://www2.medizin.uni-greifswald.de/cm/fv/ship.html). Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie geht es den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern? Wie ist es mit Übergewicht und Diabetes? Dann kamen Infektionskrankheiten dazu und die Frage: was sind Risikofaktoren?

Vergleichsregion Vorpommern

Seit kurzem gibt es eine neue Kohorte, die gerade angelaufen ist. In dieser werden Hund, Katze und Geflügel, welche die Leute zu Hause halten, ebenfalls untersucht. Das Interesse ist aktuell sehr hoch, diese Kohorte weiter auszubauen und Berufsgruppen einzubeziehen, die nahe an der Natur arbeiten. Dazu gehören Jäger, Förster, vielleicht auch Beschäftigte in der Fischerei und Landwirte. Auch da ist das Ziel, diese Erweiterung in den nächsten drei, vier Jahren zu etablieren. Das ist nicht einfach umsetzbar und bedarf guter Planung. Die Forschungen zu Moor und Waldumbau in Mecklenburg-Vorpommern sind ebenso wichtige Aspekte. Die Universität Greifswald ist eine der größten Waldbesitzerinnen hier in der ganzen Gegend. Da haben wir die Möglichkeit, im Uni-Forst interessante Studien durchzuführen.


Das große Ziel von One Health ist neben der Prävention auch die Pandemie-Vorsorge, die so genannte Pandemic Preparedness. Unter diesem Schlagwort geht es auch um das Problem von antimikrobiellen Resistenzen, also um die Tatsache, dass Antibiotika nicht mehr wirken. Wie kann hier das One-Health-Konzept konkret helfen bei der Suche nach Lösungen und Behandlungsalternativen?

Das Tolle ist, dass alle Daten und alle Proben, die wir sammeln, jetzt nicht nur dem einem Zweck dienen, neue Zoonosen zu erkennen und zu verstehen. Mit genau der gleichen Probe kann man auch nach antimikrobiellen Resistenzen suchen, um zu verstehen, wo diese Resistenzen herkommen und welche Faktoren zur Entstehung der Resistenzen beitragen. Traditionell haben Tiermedizin und Humanmedizin versucht, sich diesbezüglich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die Lage hat sich zum Glück durch gute Aufklärungskampagnen bereits sehr verbessert, aber ich denke, wir haben auch sehr viel noch nicht verstanden, denn der Aspekt der Umwelt wurde noch zu wenig beleuchtet.

Mit der One Health Surveillance bekommen wir Proben und Daten von Menschen, Tieren und aus dem Umwelt-Bereich. Das Interessante und häufig Übersehene ist, dass auch in der Umwelt jedes Bakterium, das irgendwo in der Erde oder auf einem Igel lebt, um seine Nische kämpft – wie wir alle um unsere Nische kämpfen – und es setzt dafür Waffen ein. Diese „Bakterienwaffen“ sind chemische Stoffe, die andere Bakterien zum Beispiel fernhalten oder Pilze oder Ähnliches. Es gibt folglich in der freien Natur auch Antibiotika und antimikrobielle Resistenzen. Bekannt sind Bakterien auf Igeln, die genauso resistent sind wie die fiesesten Krankenhauskeime bei uns.

One Health Surveillance stärkt auch Forschung zu Antibiotikaresistenzen

In diesem Bereich ist noch viel Wichtiges zu entdecken, nicht nur Erreger, die für uns Menschen eine Gefahr sein können, sondern auch das, was wir von den Bakterien lernen können. Zu diesem Aspekt werden wir eng mit dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland zusammenarbeiten. Die sind darauf spezialisiert zu schauen, welche Substanzen Bakterien herstellen, welche gegen andere Bakterien wirken können. Zum Thema antimikrobielle Resistenzen habe ich jetzt eine neue Kollegin hier am HIOH in Greifswald, Katharina Schaufler. Sie hat eine Professur für Epidemiologie und Ökologie antimikrobieller Resistenz inne und ist auf dieses Thema spezialisiert. Sie wurde ad hoc eingebunden in das Projekt-Design für die One Health Surveillance und wird diesen gesamten Teil zur antimikrobiellen Resistenz betreuen. Dann haben wir Daten zu Antibiotikaresistenzen, zu den Tieren, der Umwelt und zu der bakteriellen Community und so weiter. So wird es ein wirkliches Gesamtbild.

Wenn man sich mit dem One-Health-Konzept befasst, überzeugt einen schnell, finde ich, der ganzheitliche Ansatz: Die menschliche Gesundheit ist eng mit der Tiergesundheit und einer gesunden Umwelt verbunden, alles hängt miteinander zusammen. Es ist eigentlich erstaunlich, dass das One-Health-Konzept gerade erst dabei ist, sich wirklich global zu etablieren. Wie schätzen Sie die Dynamik dieses Prozesses ein: Wann wird es selbstverständlich sein, alle drei Sektoren zusammenzudenken und auch in Entscheidungsprozesse einzubeziehen?

Ich bin kein Prophet. Aber was wir beobachten, ist, dass One Health inzwischen auf etlichen Ebenen regional und global diskutiert wird, vor allem in der Wissenschaft, häufig auch in der Politik. Wir freuen uns, dass die Menschen über die Sektorengrenzen hinweg miteinander reden. Was nun folgen muss, ist die Umsetzung, und das geht nicht in Vorträgen und Meetings, es muss regional und idealerweise auch global gezeigt werden, dass One Health für etliche Problemfelder funktioniert. Hierbei macht mir die menschliche Natur ein bisschen Sorge. Eitelkeit ist schädlich, auch der Druck, sichtbar zu sein. Wenn wir One Health umsetzen wollen, müssen wir lernen zu teilen, andere Disziplinen zu schätzen, andere Kulturen zu verstehen oder zumindest zu akzeptieren. Das ist kein einfacher Prozess. Es klingt alles so super, aber in der Realität ist es nicht einfach und deswegen hoffe ich, dass das Konzept wirklich Fuß fassen wird – auf politischer, globaler und regionaler Ebene, aber auch in der Wissenschaft, die ja leider hier und da durch Eitelkeiten geprägt ist.

Prüfen, ob One Health für Problemfelder funktioniert

Meine Hoffnung ist außerdem, dass One Health auch an den Schulen gelehrt wird, dass wir beispielsweise im Biologie-Buch eine Seite haben zu Fragen wie: Was ist One Health? Wie hängen die Dinge zusammen? Das müsste, glaube ich, sehr früh in die Köpfe der Kinder gesät werden.

Das sind lauter Hoffnungen. Es kann auch sein, dass irgendwann die Mode wieder umschwenkt und wir wieder sagen: „Nein, wir müssen uns immer mehr spezialisieren.“ Ja, Spezialisierung ist wichtig. So sind wir auch weit gekommen. Aber sie hat zu so einem Tunnelblick geführt und die Dinge werden nicht mehr verknüpft. Es gibt kein Entweder-oder, wir brauchen einfach beides.

Mir wurde immer gesagt, und ich habe mich als Doktorand und Postdoc dagegen ewig gewehrt: „Fabian, jetzt spezialisiere dich und entscheide dich mal für einen Erreger. So wird nie was aus dir. Du musst dich auf eine Sache fokussieren. So geht das nicht.“ Zum Glück habe ich mich geweigert (lacht).

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Hamburger Wissenschaftspreis 2023?

Das ist natürlich eine tolle Anerkennung, dass der Hamburger Wissenschaftspreis 2023 überhaupt dem Thema „One Health“ gewidmet ist. Das allein hat mich schon gefreut. Und dass ausgerechnet ich dann auch noch diesen Preis bekommen soll, ist natürlich schön, wobei ich den Preis gerne als Anerkennung für mein gesamtes Team und meine afrikanischen Kollegen sehen möchte. Trotzdem, ich habe auch, wie geschildert, immer ein bisschen gekämpft gegen dieses „Du bist ein Generalist, du musst Dich spezialisieren“. Plötzlich ist es gefragt, dass man so ein bisschen über den Tellerrand hinwegguckt. Das freut mich natürlich sehr.

Das Interview führte Dagmar Penzlin.

Veröffentlicht am 12. Oktober 2023

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